Ernstzunehmende Kommentatoren sind sich einig: Die gescheiterte BVG-Revision ist auch deren Komplexität geschuldet. Ein Glück, dass der Souverän nicht auch über Artikel 46 BVV 2 zu befinden hat.
In der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2) wird geregelt, wieweit Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen die Freizügigkeitsguthaben verzinsen dürfen. Wobei nicht Verzinsung steht, sondern Leistungsverbesserungen. Sie dürfen nur gewährt werden, wenn die Wertschwankungsreserven zu mindestens 75 Prozent geäufnet sind.
Dieser Verordnungsartikel wurde geschaffen, um zu verhindern, dass Vorsorgeeinrichtungen durch zu hohe Leistungen einen Wettbewerbsvorteil erlangen, der angesichts ihrer finanziellen Lage gerechtfertigt wäre.
Am 10. Oktober 2024 teilte die Oberaufsichtskommission OAK BV mit, bis zu welcher Höhe eine Verzinsung der Altersguthaben nicht als Leistungsverbesserung im Sinne von Art. 46 BVV 2 zu qualifizieren ist.
«Nicht als Leistungsverbesserung nach Art. 46 BVV 2 gilt jede Verzinsung der Altersguthaben der aktiven Versicherten, die tiefer oder gleich hoch ist als die von der OAK BV jeweils in der ersten Oktoberhälfte auf ihrer Homepage publizierten Obergrenze», steht in der sechsseitigen Mittteilung.
Zwei Drittel der über dem Marktzins liegenden Durchschnittsperformance sollen für die Äufnung der Wertschwankungsreserven zur Verfügung stehen. Ein Drittel darf für die Verzinsung verwendet werden. Das gilt für Vorsorgeeinrichtungen, deren Wertschwankungsreserven unterhalb des Zielwerts liegen.
Doch wer legt den Zielwert der Wertschwankungsreserven fest? Die OAK stellt klar, dass dies in der Verantwortung des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung liegt, das den technischen Zinssatz festlegt. Dieser muss die finanzielle Lage korrekt darstellen. Das gleiche gilt für den Zielwert der Wertschwankungsreserven.
Die Frage drängt sich auf: Ist es nicht auch Aufgabe des obersten Organs, eine Verzinsung festzulegen, die der finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtung entspricht?
Das wird sich auch eine Mehrheit der nationalrätlichen Sozial- und Gesundheitskommission (SGK-N) gesagt haben. An ihrer Sitzung vom 18. Oktober 2024 beauftragt sie den Bundesrat, Artikel 46 BVV 2 aufzuheben. Dies würde bedeuten, dass alle Pensionskassen Leistungsverbesserungen vornehmen dürften, auch wenn ihre Wertschwankungsreserven noch nicht vollständig geäufnet sind.
Wichtiger Schritt in Richtung Deregulierung
Diese Änderung entspricht voll und ganz den Vorstellungen von Inter-Pension, dem Interessenverband der unabhängigen Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen. Für Geschäftsführer Nico Fiore ist das ein wichtiger Schritt in Richtung Deregulierung im überregulierten BVG.
Jörg Odermatt ist Gründungspartner und VR-Präsident des Luzerner Vorsorgedienstleisters Pensexpert. Er stellt fest, dass die OAK zunehmend auch den überobligatorischen Teil beeinflusse und damit die Handlungsfreiheit der Vorsorgeeinrichtungen einschränke. Wenn die Aufsichtsbehörde die Spielregeln ständig ändere, würden Finanz- und Businesspläne der Vorsorgeeinrichtungen auf den Kopf gestellt.
Dass sich die SGK-N überhaupt mit diesem Verordnungsartikel auseinandersetzt, ist auf die Motion 24.3372 von Erich Ettlin zurückzuführen. Der Obwaldner Mitte-Ständerat fordert darin zwar nicht die Aufhebung des Artikels. Vielmehr plädiert er dafür, dass Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften von der Regelung ausgenommen werden.
In der Ständeratsdebatte vom 13. Juni 2024 sagte Ettlin: «Die öffentlich-rechtlichen Pensionskassen stehen nicht im Wettbewerb mit anderen Pensionskassen, betreiben hier also keinen Missbrauch».
Von diesem Wettbewerbsnachteil betroffen sind laut Ettlin die Destinatäre. Diese Kassen könnten ihnen «keine höhere Verzinsung gewähren, auch wenn sie eine gute Performance erzielen und gewährleisten, dass nicht zulasten der bestehenden Versicherten unverantwortlich hoch verzinst wird.» Unter Umständen werde in diesen Kassen nicht einmal die Teuerung ausgeglichen.
Der Ständerat stimmte der Motion einstimmig zu. Offen ist, wieweit der Ständerat auch die totale Aufhebung des Artikels unterstützen wird, sollte der Nationalrat diesem Vorschlag folgen und die Streichung des Artikels beschliessen. Erich Ettlin ist es vor allem ein Anliegen, dass seine Motion durchkommt, wie er auf Anfrage erklärt. «Ich denke aber», schreibt er, «man sollte den Kreis nicht zu weit ziehen, es gibt gute Gründe, nur die öffentlich-rechtlichen Pensionskassen auszunehmen.»
Wobei Jörg Odermatt darauf hinweist, dass auch öffentlich-rechtliche Einrichtungen wie etwa Publica oder die BVK offen sind für andere Unternehmen und durchaus auch bestrebt sind, ihr Kundenportefeuille zu diversifizieren.
6,8 Prozent in Stein gemeisselt
Anderes Thema: Nach dem Scheitern der BVG-Revision fordert der Pensionskassenverband Asip einen Marschhalt. Die Vorsorgeeinrichtungen müssen demzufolge akzeptieren, dass sich das BVG als Folge basisdemokratischer Sachzwänge kaum nachhaltig revidieren lässt. Der gesetzliche Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent ist vorläufig in Stein gemeisselt.
Soll die unfaire Quersubventionierung eliminiert werden, können Vorsorgeeinrichtungen im reglementarischen Bereich, sprich Überobligatorium, Vorkehrungen treffen. Ob dies tatsächlich geschieht, ist insbesondere bei Einrichtungen zu bezweifeln, die weiterhin unzureichende überobligatorische Leistungen anbieten.
Dies benachteiligt Versicherte, die sich für Pläne mit höheren Lohnabzügen und somit höheren Leistungen entscheiden. Sie riskieren, dass ihre Einzahlungen nicht zu ihrer persönlichen Leistungsverbesserung beitragen, sondern die Finanzierungslücken von Minimalplänen stopfen.
Ebenfalls laufen sie Gefahr, dass ihr überobligatorisches Freizügigkeitskapital nicht so hoch verzinst wird, wie das die Kapitalmärkte zuliessen - auch hier zugunsten der Minimalpläne. So funktioniert Quersubventionierung.
Abgesehen davon wird es interessant sein zu beobachten, wie stark die linke Seite nun Druck machen wird, um im BVG die obligatorischen Leistungen einseitig zu verbessern, ohne den versicherungsmathematisch ungerechtfertigten Umwandlungssatz von 6,8 Prozent zu senken. Entsprechende Vorstösse wurden gleich nach der Abstimmung eingereicht - einer sogar noch vor dem Urnengang.
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Erschienen in «Schweizer Personalvorsorge» 4. November 2024
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