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«Mir fehlen nur das Wankdorfstadion, die Berge und mein Bruder»


2800 Schweizer AHV- und 400 IV-Rentner leben derzeit im Tropenparadies. Viele davon in der Küstenstadt Hua Hin und oder auf der Ferieninsel Ko Samui. Warum geradeThailand? Die Aussiedler nennen im Gespräch drei Gründe: das Wetter, die tiefen Lebenshaltungskosten und die Frauen.

Erst verbringen die Schweizer Männer einmal Ferien an Thailands traumhafter Küste. Einige machen dann Bekanntschaft mit einer Frau oder erfahren, dass es für Schweizer ein Leichtes ist, auch eine jüngere Frau kennen zu lernen – und bei ihr zu bleiben. Gerade im Alter. Für die Thailänder sind diese Liaisons ein Weg hinaus aus der Armut. Doch es wäre ein Irrtum zu glauben, dass nur alleinstehende Männer nachThailand dislozieren.

Auch Paare ziehts ans Meer

Christian Röschli, General Manager im Cape Nidhra Hotel in Hua Hin, bestätigt: «Ich kenne viele Ehepaare aus der Schweiz, die sich hier niedergelassen haben.» Der gebürtige Winterthurer sitzt in Heidi's Gardenrestaurant in Hua Hin, drei Autostunden von Bangkok entfernt.

Silvia und Peter Abegglen aus Thun sind ein solches Paar. Der ehemalige VBS-Mitarbeiter erklärt, dass sie vor allem wegen des Wetters nach Südostasien gezogen sind. Er formulierte es so: «Nicht nur, weil das Wetter schöner ist, aber weil das Wetter in der Schweiz häufig schlecht ist.»


Abegglen und seine Frau Silvia fahren beide nicht Ski. Für Hua Hin hätten sie sich entschieden, weil dort das Klima für Europa ideal sei. Viele von ihnen wohnen in der Stadt mit rund 80'000 Einwohnern, die durch eine westlich gelegene Bergkette von der Monsunströmung abgeschirmt ist. Daher sei Hua Hin der Ort mit den geringsten Niederschlägen Südthailands und einem Schönwetterparadies, sagt Abegglen.

«Lieber 35 als 0 Grad»

Aber wie halten Sie diese Hitze aus, Herr Abegglen? «Lieber 35 Grad wie jetzt als 0 Grad wie zurzeit in der Schweiz», meint der ausgewanderte Schweizer. Denn seine Heimat wird Ende April, zum Zeitpunkt dieser Reportage, von einer Kältewelle heimgesucht.

«Von den gut 9000 inThailand lebenden Schweizerinnen und Schweizern, die bei der Botschaft angemeldet sind, haben rund 500 ihren Wohnsitz in Hua Hin und dessen Umgebung», weiss Ivo Sieber, der Schweizer Botschafter in Bangkok.

Warum gerade Hua Hin? «Wir haben ein angenehmes Touristenpublikum. Viele ältere Ehepaare und Familien mit Kindern. Und wenn sich Schweizer oder Deutsche hier niederlassen, finden sie wegen der zahlreichen Landsleute leicht Kontakt», erklärt Heidi Lüdi-Burkhard aus Grenchen, die seit 20 Jahren mit ihrem Mann Heinz Burkhard das bereits erwähnte Heidi's Gardenrestaurant führt. Im Vergleich mit anderen Reisezielen sind die Berichte von Übergriffen auf Ausländer in Hua Hin sehr selten.

Ein Gast im Heidi's ergänzt, dass sich die Sommerresidenz des Königs in Hua Hin findet. Das sei ein Grund für die gute Ordnung, die überdurchschnittliche Infrastruktur und die erhöhte Sicherheit. Auch die Nähe zu Bangkok spricht für Hua Hin.

3000 Franken im Monat

Es gibt einen weiteren gewichtigen Weggrund, den Lebensabend inThailand zu verbringen: «Mit 2000 Franken im Monat kann man hier recht leben, mit 2500 pro Monat recht gut und mit 3000 Franken schon sehr gut», meint Nestor Stucki in seinem gemieteten Haus in Lamai auf der Ferieninsel Ko Samui. Der 70-jährige Stadtberner YB-Fan und Gerüstbauer ist mit einer Thailänderin verheiratet. Er wohnt seit 22 Jahren in Thailand.

Wie einfach und kostengünstig man hier leben kann, bestätigt auch Christian Eberli, ehemaliger Flugbegleiter der Schweizer. Der 60-Jährige ist in Herzogenbuchsee aufgewachsen und wohnte vor seiner Auswanderung in Kloten. Seit zwei Jahren lebt er in Pattaya und verbringt zum Zeitpunkt dieser Reportage seine Ferien in Lamai auf Ko Samui.

Mittelstand statt Sozialfall

Er kommt jährlich mit rund 10'000 Franken aus, versichert ein ehemaliger Lokführer, der sich nicht namentlich zitieren lässt und seit bald 20 Jahren in Lamai lebt. Ein Flug in die Schweiz sei dabei inbegriffen. Für die Krankenkasse zahle er 1083 Dollar im Jahr, für sein kleines Häuschen umgerechnet rund 2000 Franken im Jahr. So zu leben, ist für Schweizer Verhältnisse äusserst bescheiden, oder? Der im Oberaargau Aufgewachsene bestätigt zwar, dass er aus Sparsamkeit kaum Alkohol trinke. Dann aber relativiert er: «In der Schweiz wäre ich ein Sozialfall, hier gehöre ich zum unteren Mittelstand.»

Der Mann hat recht: Der gesetzliche Mindestlohn beträgt inThailand 300 Franken im Monat oder 3600 Franken im Jahr. Wobei Taglöhner im Norden auf den Reisfeldern auch für weniger arbeiten würden, wie ein im NordostenThailands wohnender Schweizer erklärt.

Lukratives Erbe

Lange Aufenthalte in der teuren Heimat liegen bei den knappen Budgets der Auswanderer nicht mehr drin. Doch die meisten erhalten neben der AHV noch eine Rente der Pensionskasse und kommen dadurch auf gut 3000 Franken. Da ist es nicht unüblich, dass auch für die Familie der angeheirateten Thailänderin etwas übrig bleibt.

Dies ist mit einem Grund, warum auch junge Thailänderinnen nicht abgeneigt sind, einen älteren «Farang» zu heiraten, wie die Ausländer weißer Hautfarbe in Thailand genannt werden. Der bereits erwähnte Nestor Stucki hat die 14-jährige Tochter seines Gattin adoptiert. Er hat dadurch von der AHV und seiner Pensionskasse noch Anspruch auf eine Kinderrente

Vorteile für IV-Rentner

Auf der Ferieninsel Ko Samui mit 35'000 bis 63'000 Einwohnern – je nach Quelle – sind auch einige IV-Bezüger anzutreffen. Darunter der 54-jährige Markus Furter aus Wohlen im Kanton Aargau. Äh, das ist MS. «Das warme Klima hier tut mir», sagt der ehemalige Drogist, der nun seit 16 Jahren inThailand wohnt.

Andere ausgewanderte IV-Rentner wollen sich nicht outen. Die Debatte über Scheininvalide ist auch ihnen nicht entgangen. In Thailand können sie mit der IV-Rente vortrefflich leben, was in der Heimat Neid und Missgunst wecken könnte. Dass sie in der Schweiz möglicherweise Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben und damit den Steuerzahlern zur Last fallen, geht gerne vergessen.

Über Bildschirm in der Heimat

Den ausgewanderten Eidgenossen entgeht allerdings nicht, was in der Schweiz abgeht. In den vielen von Schweizern oder Deutschen geführten Lokalen laufen Fernsehprogramme aus Deutschland oder der Schweiz. Im Restaurant Karo in Lamai, wo neben Schweizer Spezialitäten auch Kutteln zu haben sind, läuft gerade …1 gegen 100 – das Jubiläumsspecial mit Ursus und Nadeschkin». Völlig unnötig, den anwesenden Stammgästen zu erklären, was es mit diesem Komikerduo auf sich hat.

Was für einen Empfang: Nestor Stucki, ehemaliger Platzanweiser im Wankdorfstadion, und Eh Stucki-Pathama heissen die Besucher aus der Schweiz mit einer in die Jahre gekommenen YB-Fahne willkommen. Bild: Andreas Blatter


Nestor Stucki gehört zu jenen, die noch stark mit der Schweiz verbunden sind. Das erkennt man an der YB-Fahne und der Art und Weise, wie er und seine thailändische Frau die Besucher aus der Schweiz vor seinem Haus empfangen. Dem Berner fehlen. nur drei Dinge: das Wankdorfstadion, die Berge und sein Bruder. Dass sein Lieblingsstadion, wo er lange Jahre als Platzanweiser und in anderen Funktionen tätig war, heute Stade de Suisse heisst und mit dem alten «Wanker» nur noch den Standort gemein hat, verdrängt der YB-Fan: «Ich sage immer noch Wankdorf.»

Umsiedler statt Auswanderer

Der in Heimberg aufgewachsene Richard Schober meint, dass viele seiner Landsleute hier in Thailand gar keine Auswanderer seien. Er spricht von Umsiedlern. Sie leben hier wie in der Schweiz: «Sie besuchen Schweizer Lokale, schauen zu Hause Schweizer Fernsehen, sprechen die thailändische Sprache nicht und interessieren sich nicht für die thailändische Kultur.»

Für den 59-jährigen Berner Oberländer gilt das nicht. Nachdem er während 13 Jahren auf Ko Samui als Besitzer der Bungalow-Anlage Roestiland führte, lebt er nun seit drei Jahren im Isan, im nordöstlichen Teil Thailands. Er ist nach Maha Sarakham, ins Dorf seiner Partnerin gezogen, knapp 80 Kilometer von Khon Kaen entfernt. Er sagt: «In der Schweiz möchte ich nicht alt werden.» Hier in Thailand zeige man gegenüber älteren Menschen eine gewisse Ehrfurcht. Peter Abegglen sieht das ähnlich. «Hier wird das Alter geehrt», sagt der Thuner. Punkto Alterspflege sei man in Thailand besser bedient als in der Schweiz.

Thomas Messerli, der in Maenam auf der Ferieninsel Ko Samui das Schweizer Restaurant Tommy leitet, sieht das anders. Der im Bierhübeli aufgewachsene Stadtberner und ehemalige Postbeamte geht davon aus, dass er im höheren Alter in die Schweiz zurückkehren wird. Sein Restaurant ist mit Schweizer Fahnen beflaggt. Wirklich gesprächig sind die dort anwesenden Schweizer nicht. Sie schauen auf den Bildschirm, wo gerade ein Motorradrennen mit dem Schweizer Randy Krummenacher übertragen wird.

Gutes Gesundheitswesen

Auch vor einer mangelnden Gesundheitsversorgung braucht man in Thailand kaum Angst zu haben. «Thailand hat ein gut aufgebautes Gesundheitssystem mit hervorragenden Spitälern, besonders in den größeren Städten», bestätigt Botschafter Ivo Sieber. Als Referenz weist er darauf hin, dass viele Ausländer namentlich aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Bangkok fliegen, um sich dort behandeln oder operieren zu lassen.

Auch die Aufenthaltsbewilligung ist kein Handicap, um den Lebensabend unter Palmen zu verbringen. Wer ein Renteneinkommen von umgerechnet rund 2000 Franken im Monat vorzuweisen vermag oder auf einer thailändischen Bank 800 000 Bath hinterlegt, umgerechnet rund 26'000 Franken, darf inThailandleben, aber nicht arbeiten. Wer mit einer Thailänderin verheiratet ist, muss nur die Hälfte hinterlegen.

Kein Land für Ausländer

Schwieriger ist es hingegen, Wohneigentum zu erwerben. Ausländer können in Thailand kein Grundstück kaufen, aber immerhin Land im Baurecht überbauen, wie das etwa der Thuner Peter Abegglen getan hat, mit Option auf Verlängerung. Möglich ist auch, eine Eigentumswohnung zu kaufen. Die Mehrheit des Wohnblocks muss sich jedoch im Besitz von Thais befinden.

In der Schweiz gehört die Steuerrechnung zu den höchsten Budgetposten. Das gilt insbesondere für Rentnerinnen und Rentner, die nur beschränkte steuerliche Abzüge geltend machen können. Dieses Problem haben die Umsiedler in Thailand nicht. Sie sind von der Einkommenssteuer befreit. Das macht die bescheidenen Lebenshaltungskosten im Rentnerparadies erst recht bescheiden.

Erschienen in der Berner Zeitung am 7. Mai 2016


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